Lernen fürs Leben: Eindrücke aus dem Schulalltag

von Kira, Dezember 2009

Offiziell ist das Casa eine Art Nachhilfeschule und Hausaufgabenbetreuung in einem, zu der zwei Gruppen, jeweils eine vormittags und eine nachmittags, mit jeweils 25 Kindern gehören sowie eine Köchin und ein Lehrer.
Aber so geordnet sich dies auch liest, so anders ist es in der Realität. Denn eigentlich übertrifft nie eine Gruppe die 22-Kinder-Grenze, die wenigsten Kids kommen regelmäßig, ruhige Hausaufgabenbetreuung ist kaum möglich und Ruhe herrscht sowieso nie. Aber man kann nicht sagen, es ist deine, deine, deine oder deine Schuld, dass es sich gerade besser liest als es hier wirklich funktioniert. Denn was anderes ist hier auch kaum möglich.
Aber woran liegt das? Mit Sicherheit nicht an der Idee selber, denn Bildung ist der einzige Weg raus aus dem Chaos, der Situation, der Favela. Aber wenn kaum mehr als 50 % der Kiddies hier in lesefähigem Alter weder lesen noch ihren Namen schreiben können, Stetigkeit kaum bekannt ist, weder was Schule noch das Casa betrifft, Gewalt nicht nur in der Beziehung Eltern zum Kind sondern selbst schon unter den Kindern zum täglichem Umgang miteinander gehört und sie schon in dem jüngsten Alter mehr Verantwortung übernehmen müssen für Geschwister, Nichten oder kranke Elternteile als manch ein Volljähriger in Deutschland, dann kann man nicht alles so umsetzen, wie man es gern möchte und es für mitteleuropäische Maße selbstverständlich ist. Dann ist es auch normal, dass eine gewisse Regelmäßigkeit auch im Casa irgendwo auf der Strecke bleibt. Dann ist das eben nun mal so. Deshalb kann man auch nicht von den Kindern erwarten, dass sie in aller Ruhe ihre Hausaufgaben machen, sich länger als fünf Minuten konzentrieren können oder alle zusammen etwas lernen. Dann kann man nicht vorwurfsvoll fragen, wo der Inbegriff von Chaoskind Nummer 1 gestern war oder wo Chaosbündel 3 bis 5 die letzten zwei Tage schon wieder gesteckt haben. Das geht dann einfach nicht! Denn bei den Kids im Casa steht leider in den Augen ihrer Eltern oft etwas anderes an erster Stelle als die Bildung. Und so wird halt von heute auf jetzt gelebt und gelernt. Es werden Hausaufgaben gemacht, gelernt, was jetzt gerade ansteht und auch versucht, den Umgang untereinander ein wenig zu entschärfen. Es kommt mir vor, als ob ich nur für den einzelnen Moment arbeite. Für den jeweils jetzigen Moment.
Aber vielleicht bin ich noch zu kurze Zeit hier, als dass ich merke würde, dass viele kleine Momente etwas Dauerhaftes ergeben? Dass Tainara nach dem 53. Mal üben vielleicht ihren Namen irgendwann schreiben kann und nicht nur die Buchstaben abzeichnet? Dass viele lange Momente ein kleines Ergebnis bringen? Und darauf warte und freue ich mich. Aber darauf muss ich wirklich noch warten. Denn all das dauert hier deutlich länger, funktioniert langsamer. Man braucht eben wirklich viele Momente. Also auch viel, viel Zeit.
Doch was ist die Bedeutung des Casas, wenn der Lernaspekt in meinen Augen nicht vollkommen durchschlägt? Dass Kinder hier Kinder sein können. Dass ihnen Aufmerksamkeit geschenkt wird, sie erzählen können, knuddeln und vor allem spielen können. Dass es im Casa keine Arbeit für sie gibt, außer Arbeit an ihnen selbst, die ihnen noch dazu Spaß machen kann. Jedes Kind braucht Aufmerksamkeit, denn das ist das, was sie zu Hause am wenigsten bekommen.